Anja:
Im Juli brachen wir - Matthias, Günter, Olaf, Philippe und Anja - auf, um nach langen Vorbereitungen endlich die bolivianischen Anden kennen zu lernen. Beinahe wären wir jedoch am Strand von Miami hängen geblieben, da der Weiterflug nach La Paz in Bolivien hoffnungslos überbucht war. Aber beim zweiten Anlauf haben wir es dann doch geschafft.
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Illampu über Sorata
Foto: Matthias Körner
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Philippe:
Um der Höhe zu entfliehen, auf der wir in La Paz landeten (4000 m), flogen wir direkt weiter nach Sucre (2700 m). Kultur stand in dieser alten Kolonialstadt auf dem Programm, so dass sich sogar Günter zu einem Museumsbesuch überreden ließ. In den folgenden Tagen machten wir einen abenteuerlichen Taxiausflug mit Privatführer in die Berge von Sucre. Schon auf der läppischen Höhe von 3700 m fiel uns hier das Laufen relativ schwer, so dass wir dankbar waren, noch nicht im Basislager zu sein, was noch einmal 1000 m höher liegen sollte. Wie soll man da nur schlafen können? Der zweite Akklimatisierungsversuch führte uns mit dem Bus in die höchstgelegene Stadt der Welt, Potosie, auf 4000 m. Hier bestiegen wir einen „Fast-Fünftausender“ (4700 m) Ein Juwel der Bergwelt war dieser Sandhaufen zwar nicht unbedingt, denn der Bergbau hat dieses Wahrzeichen der Stadt in einen Haufen Schutt verwandelt. Aber zum Akklimatisieren hatten wir ein optimales Ziel gefunden.
Matthias:
Während das Flugzeug landete, begann der Kabinendruck stetig zu fallen, der Höhenmesser kletterte von 2500 m auf 4000 m. Willkommen in La Paz, der Hauptstadt Boliviens! Nach mehr als 24 Stunden Flug waren Olaf und ich etwas zerknittert. Mein Schlafsack kam leider nicht an, er wurde höchstwahrscheinlich zusammen mit den Gaskartuschen vom Flughafen-Sicherheitspersonal in Frankfurt gesprengt.
Anja:
Mit vollem Gepäck bestehend zehn monströsen Seesäcken ging es zum Titicacasee (3800 m), dem höchstgelegenen beschiffbaren See der Welt. Kultur und Akklimatisation ließen sich auch hier wunderbar verbinden. Alte Inkaruinen auf der bekannten Isla del Sol und Isla de la Luna erkundeten wir auf unseren Wanderungen durch die karge, aber dennoch sehr schöne Landschaft. Auch weitere Viertausender nahmen wir im Vorbeigehen mit, um uns ganz langsam der Basislagerhöhe anzupassen, die aber nach wie vor unerreichbar wirkte. Dennoch fühlten wir uns allmählich fitter für die imposanten Berge, die wir vom Titicacasee aus zum ersten mal genauer sehen konnten. Nach fünf Tagen hielt uns nichts mehr und wir fuhren mit einem Kleinbus in das Bergdorf Sorata, dem Ausgangspunkt für viele Cordillera-Trecks und Bergtouren.
Matthias:
In Sorata übernachteten wir bei Robert, unserem Organisator vor Ort. Robert ist ein Unikum: Landschaftsgärtner aus Mittenwald, Aussteiger, Extrembergsteiger, leicht chaotisch und ungemein sympathisch. Zusammen mit ihm und Arturo, unserem Indio-Koch, ging es am nächsten Morgen zum Einkaufen. Am Ende des Tages stapelten sich Berge von Verpflegung und Bergausrüstung in Roberts Innenhof.
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Erst schleppen die Lamas für uns...
Foto: Matthias Körner
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Der darauffolgende Tag wird für immer in das „Guiness Buch der Rekorde“ eingehen: Man nehme einen handelsüblichen Toyota-Geländewagen und stopfe acht Personen, eine gute halbe Tonne Gepäck und vierzig frische Eier hinein, und fahre damit über eine der holprigsten Passstraßen der gesamten Anden. Nach Überqueren der ersten Passhöhe auf über 4700 m wurde die Geröllpiste immer schlechter, die Hänge immer steiler und das Gefühl in der Magengegend immer flauer. Dunkle, tiefliegende Wolken wallten um uns herum und verdeckten gnädig den tiefen Talgrund. Mit großer Erleichterung erreichten wir gegen Abend Cocoyo, ein kleines Indiodorf an der Ostseite des Ancohuma-Massivs. Hier sprach sich in Windeseile herum, dass ein paar Gringos eingetroffen wären, und unser kleines Zeltlager avancierte schnell zur Hauptattraktion der Dorfjugend. Sofort waren wir bereit, unseren Beitrag zur lokalen Entwicklungshilfe zu leisten: Wir brachten den Kids das Frisbee-Spielen bei. Auf einem 3500m hohen Acker voller Kuhfladen kein einfaches Unterfangen!
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...dann sind wir selber dran! (Aufbruch zum Viluyo Hochlager)
Foto: Philippe le Campion
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Günter:
Nach dem vorherigen, völlig vernebelten Tag begrüßte uns am darauffolgenden Morgen strahlendes Wetter. Wir packten die Zelte zusammen und bewunderten das Geschick der Einheimischen, die Llamas zu bepacken. Jedes Lama nur 15 Kilo! Also Gepäck aufteilen, genau abwiegen, in Form bringen, damit es nicht drückt und dann auf den Lamas festschnallen. Danach machten wir uns an die 1300 Höhenmeter Aufstieg zum Basislager. Die 28 Lamas starteten zwar nach uns, holten uns aber schnell wieder ein. Zunächst hatten wir nur Sicht zurück nach Cocoyo, aber als wir einen Grat überschritten, breiteten sich die Fünf- und Sechstausender vor uns aus: Angefangen beim Pico Esperanza (5760m) mit seiner Ostwand, die der Badile Ostwand zum verwechseln ähnlich sieht, über den Pico del Norte (6070m) und den Illampu (6368m) mit seinen tausend Pfeilern, bis zu unserem Ziel, dem mächtigen Massiv des Ancohuma (6427m). Am späten Nachmittag erreichten wir den Lago Negro, einen kleinen idyllischen See auf knapp 4700 m Höhe, der von mehr als einem Dutzend Fünf- und Sechstausendern umrahmt wird. Ein paradisischer Ort für das Basislager, nur leider sehr sauerstoffarm.
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Unser einheimischer Koch Arturo
Foto: Matthias Körner
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Matthias:
In der ersten Nacht schlief im Basislager keiner so richtig gut, von den Indios und Robert vielleicht abgesehen. Nachdem wir das Lager eingermaßen wohnlich gestalltet hatten, z.B. durch den Bau kuscheliger Granitstühle im Küchenzelt oder den Bau eines Plunmpsklos, erkundeten wir den Talkessel. Ein Irrgarten aus kleinen Seen und Tümpeln, Hochmooren und Weiden, auf denen sich ab und zu ein paar flauschige Llamas tummelten. Von den umstehenden Schnee- und Eisgipfeln hatten nur wenige einen eigenen Namen, das Wort “Neutour” lag in der Luft. Robert gab uns noch etliche Tips und Ratschläge, bevor er am Abend nach Cocoyo abstieg.
Günter:
Nach der Erkundung ging es ans Bergsteigen, der Viluyo Jankhouma I stand als erster Gipfel dem Programm. Ein Fünfeinhalbtausender mit mehreren Gipfeln, dessen Hauptgifel direkt über dem Basislager aufragte. Zunächst musste mühsam der See umgangen werden, dannach ging es einen stark mit großen Grasbüscheln bewachsener Hang hoch, bevor dieser zu einer noch mühsameren Geröllhalde mutierte. Noch vor dem Gletscher querten wir nach links raus und erreichen in gelegentlicher einfacher Kletterei den Grat, der zum Gipfel hochzog. Dort blieben Anja und Phlippe leider zurück, Olaf, Matthias und ich gingen weiter, erst noch etwas auf dem Grat und schließlich auf dem Gletscher bis zum Gipfel (5540m). Leider hatte es nach dem anfänglich sehr schönen Morgen zugezogen, so das wir praktisch keine Aussicht hatten. Schade!
Matthias:
Von unserer Erkundungstour mit Robert.waren uns die Nachbargipfel des Viluyo ins Auge gefallen, schöne Fels- und Eisgipfel um die 5500 m, die augenscheinlich auch noch einiges an Neutourenpotential zu bieten hatten. Dazu war es nötig, ein Hochlager ganz am Ende des Talkessels einzurichten. Das süße Basislagerleben ging also zuende, wir mußten schleppen nach dem Motto “Ich bin zwei Llamas”. Nach 400 Höhenmetern und etlichen Kilometern Schinderei schlugen wir unser Lager auf 5000 m Höhe in einer kleinen Sandmulde am Fuße des Gletschers auf. Urlaub wie am Meer, nur leider war der nahe Gletschersee lausig kalt. Auch die Vollpension war uns gestrichen worden, stattdessen gab es den leckeren “Fischtopf Rügen”, vakuumverpackt und haltbar bis 2007.
Günter:
Am nächsten Morgen brachen wir auf zum Viluyo Jankhouma II, dem mittleren der drei “Viluyo”-Gipfel. Anja, Philippe und Olaf bildeten eine Seilschaft, während Matthias mich zu einer “kleinen” Direktvariante überredete. Wir trennten uns also auf dem Gletscher, und während die anderen dem Gipfel zustrebten, mußten wir erst noch in munterem auf- und ab den Gletscher queren, wobei einige steilere Passagen bereits den Einsatz beider Eisgeräte erforderten. Endlich standen wir unter einer Eisrinne, die direkt vom Gipfel nach Südwesten herabzog. Sah eigentlich nicht sehr hoch aus. Aber zunächst mußte ein etwa 20 Meter hoher Felsriegel überwunden werden. Der stellte sich als total brüchig und schwierig heraus. Der erste Versuch scheiterte, vor allem deshalb, weil es durch eine Kaminverschneidung ging, die mit Rucksack unüberwindlich war. Also kam Matthias wieder herunter, nicht ohne dabei die Schneebrücke über der Randkluft deutlich zu reduzieren. Ohne Rucksack gelang es ihm dann, er zog die Rucksäcke hoch und ich stieg hinterher. Danach folgte die eigentliche Eisrinne, bis etwa 70 Grad steil, aber dafür war das Eis meistens auch nur schlechter Firn. Indem sich Matthias immer dicht an den Felsen hielt, konnte er recht gute Sicherungen legen, wir waren dadurch aber auch nicht übermäßig schnell. Es sah immer so aus, als ob wir gleich oben seien. Das war aber ein Trugschluß, es kamen insgesamt acht Seillängen mit bis zu 50 Meter Länge heraus und erst gegen 18.00 Uhr standen wir im Nebel auf dem Gipfel. Eile war geboten, denn lange würde es nicht mehr hell sein. Von den anderen keine Spur.
Allwissender Erzähler:
Anja, Philippe und Olaf erreichten gegen Mittag den Gipfelgrat, nur wenige Meter von der Stelle entfernt, an der Günter und Matthias ausstiegen. Da die beiden den Abstieg zum Hochlager nicht kannten, beschlossen sie, zum Normalweg des Viluyo I zu queren und zum Basislager abzusteigen, das sie gegen 22:00 Uhr im dichten Schneetreiben erreichten..
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Aufstieg zum Jankhopiti, im Hintergrund der Ancohuma
Foto: Matthias Körner
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Matthias:
Nachdem Olaf, Philippe und ich noch eine neue Route am Viluyo III klettern konnten, packten Anja und Philippe ihre Sachen, denn sie mußten nach Hause zurück und wollten noch nach Sorata wandern. Für Olaf, Günter und mich ging jetzt der Ernst des Lebens los: Unser Sechstausender, der Ancohuma, stand auf dem Programm. Also wieder Schleppen wie die Llamas. Das Hochlager errichteten wir auf einem flachen Gletscherplateau direkt am Abbruch der imposanten, fast 1000 m hohen Ostwand des Ancohumas.
Am kommenden Morgen brachen wir früh auf, aber es war sehr kalt und windig, über die Grate fegten lange Schneefahnen, so das wir beschlossen, stattdessen den etwas niedrigeren Jankhopiti (5875 m) zu besteigen. Die Aussicht vom schmalen Gipfel auf unsere zuvor bestiegenen Gipfel und nach Westen zum Titicacasee war grandios.
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Hochlager mit Ancohuma
Foto: Matthias Körner
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Günter:
Nach einer kurzen Erholungsphase im Basislager unternahmen wir den zweiten Gipfelangriff auf den Ancohuma, leider ohne Olaf. Verantwortlich hierfür war der fehlende Rauchabzug in unserem Küchenzelt, der bei uns allen vermutlich eine leichte Kohlendioxidvergiftung zur Folge hatte. Vom Hochlager quälten wir uns zuerst eine mit viel Pulverschnee beladene Schneerampe hinauf, die dann in einer etwa 100 Meter hohen Eiswand mit bis gut 50 Grad Steilheit endete. Dort war ordentliche Eiskletterei erforderlich, aber die Verhältnisse waren zum Glück so gut, das wir seilfrei gehen konnten. Die Eiswand endete auf einem Plateau zwischen Jankhouma und Illampu, und schon von hier konnte man den Titicacasee sehen. Wir überquerten das Plateau und eine weitere Eiswand. Steil und hoch wie die andere leitete sie auf den Südostgrat des Ancohuma. Dieser war auch nicht von schlechten Eltern und hätte konzentrierte Kletterei erfordert. Aber wir waren jetzt schon 6100 Meter hoch, und ich war schon einigermaßen erledigt. Ich überlegte, weiterzugehen oder nicht, und entschied mich für letzteres. Vielleicht hätte ich den Gipfel, der ja nur noch etwa 300 Meter über uns lag, erreicht, aber ich hätte ja auch wieder runter gemusst. Und ich befürchtete, beim Abstieg so geschwächt zu sein, dass ich diese steilen Passagen nicht konzentriert genug hätte absteigen können, und man weiß ja, der Abstieg ist das Gefähliche beim Bergsteigen. Also ließ ich Matthias alleine weitergehen, was akzeptabel war, da wir ja nicht mehr auf dem Gletscher standen. Wärend er also weiterstieg, genoß ich noch eine Weile die Aussicht in fast alle Himmelsrichtungen und auf den von hier aus sehr imposanten Illampu. Da es aber auf dem Grat nicht wirklich bequem war, kletterte ich die Eisflanke bis zum Plateau hinab und wartete dort auf Matthias.
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Illampu vom Aufstieg zum Ancohuma
Foto: Matthias Körner
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Matthias:
Das Gelände war nicht schwierig, aber heikel und exponiert. Keuchend und japsend kletterte ich höher, die Eisgeräte und Steigeisen immer sauber platzierend, bloß nicht schludern. Irgendwann erreichte ich endlich das flache Gipfelplateau. Wolken zogen auf, der Illampu lag jetzt schon weit unter mir, durch die Wolkenlücken lugte der Titzicacasee hervor. Der Gipfel selbst war höchst unspektakulär, eine flache Firnkuppe. Der Höhenmesser zeigte knapp 6400 m an. Ich machte ein paar Fotos und biss ein paar Mal lustlos in einen hartgefrorenen Müsliriegel. Der Abstieg war so unangenehm wie befürchtet und dauerte endlos. Die Sicht wurde immer schlechter. Wo war Günter?
Günter:
Machmal hatte ich schöne Sicht, manchmal sah ich kaum die Hand vor Augen, aber zum Glück war es nicht wirklich richtig kalt, und so überstand ich die vier Stunden, bis Matthias wieder bei mir war, unbeschadet. Gemeinsam kletterten und stiegen wir dann zurück zum Zelt und verbrachten unsere letzte Nacht am Berg.
Allwissender Erzähler:
Nach einigen kleinen Abenteuern erreichten Günter, Olaf und Matthias wohlbehalten Sorata, von wo sie mit dem Bus weiter nach La Paz fuhren. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann warten sie heute noch vor den Abfertigungsschaltern der Passkontrolle in Miami.
Anja, Philippe, Matthias, Olaf, Günter
Organisation (Robert Rauch): http://www.bolivia-tours.de/
Günters Bildergallerie: http://www.bergefelsundeis.de/