Cashapampa, ein kleiner Ort an der Mündung des Santa-Cruz-Tals in der peruanischen Cordillera Blanca. Hier wuchten wir Robert Rurkowski, Christian Junglewitz, Hanke Konsek und Anne-Kristin Rullmann unsere voluminösen Rucksäcke aus dem Taxi. Burros?, erkundigt sich unser Fahrer. Ob wir Esel für den Transport zum Basislager gemietet hätten. Stellvertretend für uns alle erläutert Robert das Offensichtliche, indem er auf seine Brust deutet: Burro me. Da lacht der Fahrer, und wir vier Esel schultern unsere Last und stapfen den steilen und staubigen Pfad hinauf ins Santa-Cruz-Tal. Im Nachhinein würde Hanke, zu diesem Urlaub befragt, stets sagen, er hätte hier in Peru die intensivsten Tage seines bisherigen Lebens verbracht, im Klartext die anstrengendsten.
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Mahlzeit! Robert Rurkowski |
Zwei Wochen früher: Nach 30-stündiger Reise hatten wir Huaraz erreicht, ein wuseliges Städtchen mit 50.000 Einwohnern auf 3.000 m Höhe. Umgeben von den verlockenden weißen Gipfeln der Cordillera Blanca mussten wir uns erst einmal akklimatisieren. Nicht nur die Höhe ist hier gewöhnungsbedürftig: Frauen tragen Hüte, Schafe fahren Bus und Preise werden selbst dann noch verhandelt, wenn sie ohnehin schon unverschämt niedrig erscheinen. Cebiche (in Citrussaft eingelegter Fisch) ist zu empfehlen, Cuy (gebratenes Meerschweinchen) eher weniger. Verwirrung stiften die Sachen mit den Nordwänden auf der Südhalbkugel und die falsche Laufrichtung der Sonne. Natürlich gab es auch Akklimatisierung im engeren Sinne: hübsche Tagesausflüge zur hochgelegenen malerischen Laguna Churup und zu den traumhaft reibigen Kletterfelsen von Hatun Machay. So gelang es uns allmählich, die Paracetamoldosis und den Ruhepuls von 110 wieder herunterzufahren.
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Anne auf 5.450 m auf Chinchey Hanke Konsek |
In der zweiten Woche hatten wir uns dann den ersten Berg vorgenommen: den 6.309 m hohen Chinchey. In unserer Referenzliteratur wurde er als entlegenes Bergabenteuer beschrieben. Das verlockt. Tatsächlich trafen wir vier Tage lang keine Menschenseele. Wir querten tückische Moränenhänge, brusthohe Grasmeere und spurlose Gletscher. Nach drei Tagen erreichten wir die erste Steilstufe und rammten begierig unsere Steigeisen und Eisgeräte hinein. Allen voran schaltete Robert seinen Autopiloten auf Spurmaschine und fräste sich durch den Tiefschnee. Bis es erst nebelig und dann dunkel wurde und noch immer kein Joch in Sicht war. So endete unser entlegenes Bergabenteuer bei 5.600 m und mit einer Zeltnacht am Hang. Einen weiteren Gipfelversuch gaben die Benzinvorräte nicht her. Aber immerhin: Jetzt waren wir akklimatisiert.
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Alpamayo Hochlager mit Blick auf die Gipfelwand Hanke Konsek |
Also auf nach Cashapampa und von dort zum Alpamayo (5.947 m), dem schönsten Berg der Welt. Dessen berühmte, 400m hohe Gipfelwand hielt eine Überraschung für uns bereit: Der moderate Normalweg war eingeschneit, zum Gipfel führte nur die Direkte Franzosenroute, bewertet mit D+/TD-. Schaffen wir das? Am Gipfeltag, um zwei Uhr nachts, trugen Finsternis, Kälte und Eisschlag wenig dazu bei, unsere Zweifel zu zerstreuen. Erst das satte Tschack, mit dem die Geräte ins Eis bissen, und die aufziehende Morgenröte ließen inmitten der Wand ein Empfinden aufkommen, das überraschenderweise an Klettervergnügen erinnerte. Gegen neun Uhr standen Robert und Hanke auf dem Gipfel, eineinhalb Stunden später auch Christian und Anne.
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Crashkurs im Eseltreiben Robert Rurkowski |
Der Gipfel des Alpamayo hat zwar die Größe eines Strandtuchs, lädt aber gerade deswegen nicht unbedingt zum ausgiebigen Sonnenbaden ein. Außerdem erwartete uns noch ein langwieriger Abseilmarathon. Richtig schnell nach unten kommt man allerdings, wenn man fremden Firnankern vertraut… Bei dieser Erfahrung kam Anne mit einem verstauchten Fuß noch glimpflich davon – zumindest erst einmal bis ins Basecamp. Für die restlichen 20 Abstiegskilometer durch das Santa-Cruz-Tal sind wir dann deshalb doch unserem puristischen Alpinstil- Prinzip untreu geworden und haben zwei Esel gemietet, einen für Annes Rucksack - und einen für Anne selbst.
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Der Südgipfel des Huascarán mit seinem markanten Eisschild Hanke Konsek |
Nach unserem entlegenen Bergabenteuer und dem schönsten Berg der Welt wollten wir nun zum höchsten Berg Perus, dem 6.768 m hohen Südgipfel des Huascaran. El Escudo, eine Route über ein 400 m hohes und 50-60 Grad steiles Eisschild, hatte schon seit Monaten unsere Bergsteigerfantasien beflügelt. Das einzige, was Robert und Christian nun noch bremsen konnte, waren ihre Rucksäcke. So fassten die beiden im Gletschercamp 1 den kühnen Plan, Schlafsäcke, Isomatten und Zelt zurückzulassen, das Schild-Camp zu überspringen, an einem Tag aufzusteigen, das Schild zu klettern, von dort weiter zum Gipfel zu gehen und danach auf dem Normalweg zurück zum Zelt in Camp 1 abzusteigen. Soviel sei vorweggenommen: Das Zelt blieb an diesem Abend leer. Stattdessen verbrachten die beiden die Nacht auf 6.500 m Höhe mit Biwaksack in einer Schneehöhle. (Seither kann Christian in seinem OutdoorLaden Bivvy on summit - nomen est omen! - übrigens unglaublich überzeugende Verkaufsgespräche für Biwaksäcke führen.) Dafür gehörte am nächsten Morgen der Gipfel ihnen. Die zweite Seilschaft mit Hanke und Anne musste sich auf dem Normalweg in Camp 2 bei knapp 6.000m geschlagen geben. Auch nicht so schlimm. In Anbetracht von Brechdurchfall, Riesenrucksack und verstauchtem Fuß waren sie genaugenommen überrascht, überhaupt so weit gekommen zu sein.
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Robert auf dem Gipfel des Huascaran Christian Junglewitz |
Und dann hieß es noch einmal Rucksäcke packen. Nicht für den nächsten Berg, sondern für den Rückflug nach Deutschland. Nun hatten wir viele Souvenirs im Gepäck - und noch mehr Erinnerungen.
Wir haben 23 Tourentage und 8 Ruhetage erlebt. Wir haben mit einem Marschgepäck von gemeinsam an die 100 Kilogramm jeder etwa 11 Höhenkilometer zurückgelegt und dabei zusammen 23 Kilogramm an Körpergewicht verloren. Umso intensiver haben wir an den Ruhetagen das Leben genossen. Wir haben rund 24 Liter Pisco Sour, 20 Liter frischgepressten Orangensaft und 4 Kilogramm Rindersteak verzehrt; wir haben getanzt, gekocht, uns gesonnt und gelacht und das bunte Treiben in Huaraz in uns aufgenommen. Und wir gehen davon aus, sogar einen Rekord aufgestellt zu haben: den Erwerb von sage und schreibe 56 von Quechua-Omis in Huaraz handgestrickten Mützen. Irgendwann kommt der Winter ja auch wieder aus Peru nach Braunschweig zurück – wir sind vorbereitet.